„Interview mit Antonio Velasco Muñoz“
Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung der Reihe “Junge Kunst Bremen”,

11. Mai 2011, Filiale Gerhard – Rohlfs – Straße der Sparkasse Bremen, in Vegesack


Leben in Bilder

 

Dr.Reiner Beßling im Dialog mit der Maler Antonio Velasco Muñoz über Erinnerung und Unschärfen, Heimat und Herkunft und die Unterschiede des Familienlebens in Spanien und Deutschland.

Dr.Reiner Beßling: Reden wir über Heimat, ein Thema in deiner Malerei. Du bist in Spanien geboren, lebst seit 1997 in Bremen. Wo und wann hast du erstmals so etwas wie ein Gefühl von Heimat empfunden?

Antonio Velasco Muñoz: Das war, als ich nach Deutschland gekommen bin. Im übrigen bin ich hierher gekommen, weil ich mich in eine deutsche Frau verliebt habe. Vorher habe ich nicht bemerkt, was mir mein Land, meine Familie bedeuten. Ich bin immer viel gereist, aber immer nur für kürzere Zeit. Ich fühlte mich anfangs in Deutschland ziemlich isoliert, ich habe die Sprache nicht gesprochen.


RB: Wird die Erinnerung dann zum Halt und Schutzraum?

AVM.:Das kann man so sehen. Ich habe versucht, mir das durch meine Kunst wieder nahe zu bringen, was mir in Deutschland gefehlt hat. Es wurde eine Reise in die Vergangenheit. Ich habe viele Momente und Motive aus meiner Kindheit in meinen
Bildern aufgegriffen.

RB: Heimatgefühl stellt sich also immer erst in der Fremde ein?

AVM: Was interessant ist: Das deutsche Wort Heimat lässt sich schwer ins Spanische übersetzen. Es gibt bei uns die Wörter patria oder tierra. Aber das ist etwas anderes. Ich habe mir inzwischen mein eigenes Heimatkonzept aufgebaut.

RB: Ist Heimat dann für dich eher ankommen oder herkommen?

AVM: Meine neue Heimat ist Deutschland, meine Herkunft ist Spanien, und ich stehe irgendwo dazwischen. Ich bin nicht da oder dort und kann mich von einem der beiden Länder verabschieden.

RB: Ist dieses Pendeln ein entscheidender Motor für Kunst?

AVM: Auf meine Kunst hat die Entscheidung, in ein anderes Land zu gehen, großen Einfluss gehabt. Wäre ich in Spanien geblieben, hätte ich ganz andere Sachen gemacht, andere Bilder gemalt, ein anderes Konzept verfolgt.

RB: Immer wieder tritt deine Familie in deinen Bildern auf. Welche Bedeutung hat Familie für dich persönlich?

AVM: Eine große Bedeutung. Das Familienleben ist in Spanien ganz anders als in Deutschland. Es war schon ein gewisser Kulturschock, zu erleben, was manche hier unter Familie verstehen, ein Treffen zu Weihnachten, das war‘s. In Spanien ist die Familie immer da, sie ist tatsächlich die Grundlage der Gesellschaft.

RB: Du verwendest häufig Familienfotos als Grundlage für deine Bilder. Welche Empfindungen hast du, wenn du in alten Familienalben blätterst? Melancholie, Nostalgie?

AVM: Inzwischen sind bereits einige Personen aus den Fotos und Bildern verstorben. Mit diesem Blick zurück, kommt auch der Tod immer häufiger zu mir. Man möchte die Menschen nicht verlieren, aber man muss sich verabschieden. Das ist das Leben. Durch meine Kunst komme ich den Menschen auf den Fotos wieder näher. Ich könnte das Bild ja auch vergrößern und ausdrucken, aber ich male es. Nicht mit Hilfe einer Projektion, ich zeichne auf die Grundierung und führe es dann malerisch. Das dauert häufig ziemlich lange. Ich vertiefe mich in die Personen, in den Moment, in die Szene und eigne sie mir dadurch an. Je länger man auf das Foto schaut, umso mehr erkennt man und umso mehr erzählt es. Ich arbeite auch meist an mehreren Bildern gleichzeitig. Da korrespondieren verschiedene Orte, Situationen und Menschen miteinander.

RB: Was passiert mit den Menschen und Motiven auf dem Weg von der Fotografie zur Malerei? Die Vorlagen sind ja häufig sehr klein und die Bilder manchmal bis zu lebensgroß. Hältst du dich meist eng an die Vorlage?

AVM: Meist ja, es hängt auch von meinem jeweiligen Konzept ab, das sich im Laufe der Zeit auch ändert. In letzter Zeit habe ich ein wenig freier gemalt. Die Personen und Kulissen sind unschärfer geworden. Aber dann gibt es auch wieder ein Bild, das ich klarer ausformuliert habe. Es gibt immer einen Punkt in einem Bild, an dem muss man entscheiden: So ist es, so bleibt es. Es ist auch eine Frage der Atmosphäre und Stimmung.

RB: Man könnte denken, dass die Unschärfe, die du wählst, die Form unserer Erinnerung widerspiegelt. Außerdem weckt das Foto ja noch ein Reihe anderer Erinnerungen an die Zeit und die Personen. Statische Bilder kommen dabei in Bewegung.

AVM: Das Unbestimmte, nicht klar Konturierte hat sicher mit der Form der Erinnerung zu tun, mit manchen Lücken und damit, dass unser Gedächtnis vieles idealisiert. Ich mache manchmal auch Interviews, nicht nur als Recherche, sondern als Teil einer Installation, und merke dabei, wie selektiv Menschen in die Vergangenheit blicken. Vieles wollen sie auch nicht erinnern. Mit Gesichtern, die nicht klar gezeichnet sind, wollte ich meine Bilder aber auch öffnen, die dargestellten Personen von meiner konkreten Biographie lösen und dem Betrachter die Möglichkeit geben, sie als Projektionsfläche für seine eigenen Erinnerungen zu verwenden. In meiner Serie zu „Männersachen“, in der es um Autos oder Kneipen geht, wollte ich die Personen nicht allzu kenntlich machen. Ich wollte sie nicht vorführen oder demaskieren. Es geht weniger um konkrete Personen als um Männlichkeit als Klischee und Attitüde. Aber eigentlich sind das keine bewussten Strategien, das meiste geschieht beim Malen.

Was Männlichkeit, was Männerbilder betrifft, gibt es ja wohl auch erhebliche Unterschiede zwischen der spanischen und der deutschen Kultur?

AVM: Ja, sicher. Dass ich mich damit beschäftige, hat mit meiner Suche nach Identität zu tun, auch ein wichtiger Antrieb in meiner Malerei. Es geht dabei um die Auseinandersetzung mit den Vorbildern, die ich hatte. In meiner Erziehung und Sozialisation spielten Großvater, Vater oder Onkel eine große Rolle, sie zeigten, was man von einem Mann erwartet. Man darf nicht vergessen, dass Spanien lange eine Diktatur und vom Militär geprägt war. Und selbstverständlich darf man den Einfluss der katholischen Kirche nicht außer acht lassen, die klare Vorstellungen von der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau hat - wobei meine Familie zunehmend skeptischer gegenüber der Kirche geworden ist.

RB: Noch einmal zurück zum Diffusen in deinen Bildern und in der Erinnerung. Finden sich also auch diese Verschiebungen des Vergangenen, die das Gedächtnis vornimmt, in deinen Bildern wieder?

AVM: Die Fotos selbst sind ja schon eine Auswahl. Es werden meist die glücklichen Momente und freudigen Ereignisse im Foto festgehalten. Urlaubsfotos, Gruppenfotos von Familienfeiern. Es ist schwer, Fotos von einer Beerdigung oder von einem Unfall zu finden. Ich habe ein Foto gefunden, das mich im Krankenhaus zeigt. Aber da steht dann auch die Großfamilie wie ein Schutzwall an meinem Bett. Von den tragischen und schrecklichen Momenten bleiben die Gedanken, von den glücklichen die Bilder. Da ich die Fotos als Zugang zur Vergangenheit brauche, finden sich in meiner Malerei eher die Familienfreuden.

RB: Du verzichtest in deinen Bildern nahezu durchgehend auf Farbe. Manchmal findet man einen Braunton.

AVM: Ich nehme die Farbigkeit der Bilder auf, manche haben diesen bräunlichen Farbstich, manche vergilben langsam. Ich will, dass man sieht, dass es Bilder nach Fotografien sind, und ich will, dass man sofort sieht, dass es keine aktuellen Fotos sind. Mit der Monochromie stellt sich eine gewisse Distanz ein, Farbe würde nicht nur Unruhe ins Bild bringen, sondern auch Gewohnheit. Ich möchte einen Abstand schaffen, durch den das Publikum aufmerksamer wird.

RB: In deinen Ausstellungen hängen und stehen manchmal Objekte neben den Bildern, vor allem Kleidungsstücke.

AVM: Die Kleidungsstücke bringen die Farbe zurück. Auf den Fotos kann man nicht erkennen, welche Farbe ein T-Shirt oder ein Kleid hat.

RB: Sind die Dinge ein zusätzlicher, greifbarer Beleg dafür, dass die Personen existiert, dass die Geschichten stattgefunden haben?

AVM: Auf der einen Seite ja, andererseits sind die Objekte Zeugnisse und Zeugen der Zeit. Sie zeigen, dass die Zeit vergangen ist und vergeht. Die Fotografien bleiben, auch der Moment, den sie dokumentieren, bleibt. Dabei hat sich von diesem Augenblick an alles verändert. An den Objekten lässt sich der Prozess des Alterns ablesen. Die Objekte ziehen noch eine andere Ebene der Erinnerung ein. In einigen Ausstellungen habe ich Fotos, Bilder, Videos, Interviews beispielsweise zu meiner Taufe oder zur Kommunion meiner Schwester zusammengestellt und so das Publikum zu einem Tag in meinem Leben eingeladen. Durch die zusätzlichen Medien wollte ich die Erinnerung noch präsenter machen.

RB: Erinnerung gehört zur Identitätsfindung, aber auch Vergessen kann ganz hilfreich sein, vor allem um den Alltag bewältigen zu können.

AVM: Das ist sicher richtig. Aber es gibt diesen schönen Gedanken, der mich in meiner Arbeit begleitet und meine Malerei auch bestärkt: So lange man sich an einen Menschen erinnert, ist er noch nicht ganz gestorben, solange hat er noch einen Platz in unserem Leben.